DIW befürchtet Destabilisierung des Finanzsystems
Foto: Skyline von Frankfurt / Main, über dts Nachrichtenagentur
Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht im Ukraine-Krieg eine Gefahr für das europäische Finanzsystem. „Russland wird versuchen, das westliche Finanzsystem zu destabilisieren – durch punktuelle Manipulation wie gezielten Hackerangriffen oder den 300 Milliarden Euro, die sie im Geldmarkt angelegt haben“, sagte Marcel Fratzscher dem Focus.
Da das Mandat der EZB die Preisstabilität sei, werde diese die Zinsen jetzt kaum erhöhen können, so der Professor für Makroökonomie. „Der Worst Case ist eine Eskalation des Kriegs und ein Stopp russischer Öl- und Gaslieferungen“, so Fratzscher. In der Folge würde das zu einer Explosion der Energie- und Nahrungsmittelpreise führen und die Industrie müsse teilweise ihre Produktion ein- und Mitarbeiter freistellen, warnte der Ökonom. Im schlimmsten Fall lande man im Gesamtjahr in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit werde sich deutlich erhöhen.
„Auch die Inflation steigt auf Werte zwischen sechs und zehn Prozent, was die Bürger weiter enteignen würde“, sagte Fratzscher. Er forderte eine „temporäre Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer von sieben auf null Prozent“. Das helfe allen Menschen bei der Grundversorgung, einkommensschwächere Menschen profitieren besonders stark und auch die Umsetzung gehe besonders schnell, dies habe man an der Senkung des Jahres 2020 beobachten können. Eine Lohnerhöhung sei durch den Krieg und die daraus resultierende Inflation nötig.
Man brauche „ordentliche“ Einmalzahlungen, welche für eine teilweise Kompensation, aber nicht permanent deutlich höhere Löhne sorgten. Dabei sei „Augenmaß“ wichtig. „Erhöhungen von acht bis zehn Prozent würden eine Bremse werden“, sagte der Ökonom dem Focus. An der Mindestlohn-Erhöhung solle aber festgehalten werden.
Das helfe gerade den einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten, die von der Explosion der Energie- und Nahrungsmittelpreise besonders stark betroffen seien. Gerade werde zu viel Populismus betrieben und „zu wenig für die am stärksten betroffenen Menschen getan“, sagte der DIW-Präsident. „Die entscheidende Stellschraube wird sein, wie lange der Krieg dauert.“ Russland sei „von der Größe wirtschaftlich unwichtig“, aber stelle systemrelevante Dinge für den Weltmarkt her, beispielsweise als Energie-Exporteur, bei Rohstoffen, bei Düngemittel oder Weizen.
Aber auch die Ukraine liefere beispielsweise Xenongas, das für Halbleiter benötigt werde. Probleme könnten bei einem Durchbruch der Lieferketten entstehen, da Produkte nicht gefertigt werden können, „wenn auch nur ein Prozent der Vorleistungen fehlen“, so Fratzscher.