Intensivmediziner gegen rasche Corona-Impfung bei Kindern
Foto: Impfzentrum, über dts Nachrichtenagentur
München (dts Nachrichtenagentur) – Der Generalsekretär der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin will Kinder nicht vorrangig impfen. Kinder erkrankten „häufig asymptomatisch oder im Verlauf harmlos“ und hätten deshalb bei knappen Impfstoffkapazitäten keine dringliche Indikation, sagte Florian Hoffmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagausgaben).
Der Münchner Kinder-Intensivmediziner sagte mit Blick auf die Debatten beim jüngsten Impfgipfel von Bund und Ländern, es gebe derzeit in Deutschland noch fast 30 Millionen Erwachsene zu impfen. „Im Sinne der Intensivbettenkapazitäten haben erwachsene Patienten bei der Impfung also weiterhin höchste Priorität, da diese ein relevantes Risiko eines intensivpflichtigen Verlaufs haben“, sagte Hoffmann mit Verweis auf Pläne der Politik, allen Kindern und Jugendlichen über 12 Jahren bis Ende August ein Impfangebot zu machen. Voraussetzung ist eine Zulassung des Mittels des Herstellers Biontech/Pfizer für die Altersgruppe der über 12-Jährigen durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Die Behörde will an diesem Freitag über eine EU-weite Zulassung. Bisher ist dieser Impfstoff ab 16 Jahren zugelassen. In die Debatte um das Impfen von Kindern und Jugendlichen hat sich jetzt auch die renommierte Jugendforscherin Gunda Voigts eingeschaltet. „Meine klare Forderung dazu lautet: Jetzt sind die 16- bis 27-Jährigen und wenn möglich auch die ab Zwölfjährigen dran“, sagte die Professorin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitagausgabe). „Ich würde mir statt der Aufhebung der Priorisierung wünschen, dass nun die jungen Menschen geimpft werden, damit sie wieder ihren Hobbys nachgehen können, sich mit ihren Freunden treffen können.“ Junge Menschen brauchten ihre Freiräume zurück, um gesund aufwachsen zu können. Gleichzeitig sagte die 49-jährige Wissenschaftlerin, die auch Mitglied der Kinder- und Jugendkommission Niedersachsen ist, dass sie bei ihrer eigenen Impfung auch gern einem jungen Menschen den Vortritt gelassen hätte. „Ich habe mit vielen jungen Menschen zu tun, auch in der eigenen Familie. Wenn ich die Wahl hätte, träte ich meine Impfung auf jeden Fall an sie ab.“ Sie finde es wichtiger, dass sie geimpft sind. Wenn es sein müsse, könne sie auch noch weiter online lehren. „Aber für die Studierenden am anderen Ende der Online-Leitung wäre das eine Katastrophe. Sie kennen die Hochschule zum Teil noch gar nicht von innen, haben kaum Chancen, andere Studierende kennenzulernen“, fügte die Professorin hinzu. Überdies nannte Voigts, die Ex-Mitglied der Sachverständigenkommission des Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung (2014-2017) ist und zu deren aktuellem Lehrgebiet die „Kinder- und Jugendhilfe in Corona-Zeiten“ gehört, die Schließung von Schulen während der Pandemie einen Fehler. „Ich habe von Anfang an dafür geworben, die Schulen offen zu halten, und zwar komplett und unabhängig von Inzidenzen“, sagte sie und fügte hinzu: „Für die meisten Jugendlichen wäre es schlimm, wenn die Schulen erneut geschlossen werden müssten.“ Das dürfe nicht passieren. „Schulen müssen in Pandemiezeiten Orte für junge Menschen sein, die ihnen das Treffen mit ihren Freunden und Freundinnen ermöglichen. Dazu braucht es offene Schulkantinen, Schulgelände und Turnhallen.“
Es gelte, Schulen herauszuholen aus ihren begrenzten Räumen und Zeiten. Vorderstes Ziel müsse es sein, dass Kinder und Jugendliche auch in Pandemiezeiten aufeinandertreffen könnten. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zeigte sich enttäuscht über die Ergebnisse des Impfgipfels von Bund und Ländern. „Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb es kein konkreteres Konzept gibt, wie impfwillige Jugendliche wirklich bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot erhalten sollen“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsse sicherstellen, dass Jugendliche mit Vorerkrankungen, die einer der Risikogruppen angehörten, „mit hoher Priorität ein Impfangebot“ erhielten, forderte Göring-Eckardt. „In diesem Fall könnten die Eltern am besten gleich mitgeimpft werden zum Schutz ihrer Kinder.“ Zusätzlichen Impfstoff, den Spahn vor Kurzem noch in Aussicht gestellt habe, gebe es nun ganz offenbar doch nicht, kritisierte Göring-Eckardt. „Mal wieder weckte der Gesundheitsminister falsche Erwartungen und hat es versäumt, vorausschauend zu handeln.“