Ulm: Ermittlungsverfahren wegen mit Morphin vergifteter Säuglinge eingestellt
Das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Morphin vergifteter Säuglinge wurde mangels Tatnachweises eingestellt.
Die umfangreichen und zeitaufwändigen Ermittlungen im Zusammenhang mit den in der Nacht auf den 20. Dezember 2019 auf einer Station in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm mit Morphin vergifteten Frühgeborenen mussten nun eingestellt werden, da zentrale Fragen nicht mehr aufgeklärt werden konnten.
Wie bereits berichtet (Ulm: Krankenschwester unter Verdacht – Frühgeborene in lebensbedrohlichen Zustand versetzt), litten in den frühen Morgenstunden des 20.12.2019 fünf in einem Zimmer in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm untergebrachte Frühgeborene nahezu zeitgleich an lebensbedrohlichen Atemproblemen, die glücklicherweise dank des sofortigen Eingreifens des Krankenhauspersonals gerettet werden konnten. Als Ursache wurde seitens der behandelnden Ärzte zunächst eine Infektion vermutet, welche nach Vorliegen der Ergebnisse von Blutuntersuchungen jedoch ausgeschlossen werden konnte. Allerdings wurden in den Urinproben aller Kinder Rückstände von Morphin festgestellt. Da jedenfalls zwei der Kinder im Rahmen der Notfallversorgung kein Morphin verabreicht worden war, wandte sich die Leitung des Universitätsklinikums Ulm daraufhin am 17.01.2020 an die Polizei.
In der Folge wurden Durchsuchungen bei den sechs Klinikmitarbeitenden, die im fraglichen Zeitraum Dienst auf der Frühgeborenenstation hatten, durchgeführt. Im Spind einer der Beschuldigten fanden die Ermittler eine mit Muttermilch gefüllte Spritze. Die ersten Untersuchungen durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg wiesen Morphin in der Muttermilch nach. Hierauf erwirkte die Ulmer Anklagebehörde einen Haftbefehl gegen die Frau. Weitere Analysen des Spritzeninhalts widerlegten diesen Verdacht, woraufhin die Beschuldigte nach fünf Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde.
Die seither geführten umfangreichen Untersuchungen ergaben keine Tatsachengrundlage, auf welche eine Anklage gestützt werden könnte. Das fragliche Stationszimmer war bereits am Folgetag gereinigt. Abfälle wie Spritzen und benutzte Milchfläschchen, die auf Morphinspuren und DNA- bzw. daktyloskopische Spuren der Täterschaft hin hätten untersucht werden können, waren bereits entsorgt. Die Patienten waren von den Überwachungsmonitoren abgemeldet und deren Daten deshalb gelöscht. Der Versuch, über die Herstellerfirma die Daten der Überwachungsmonitore wiederherzustellen, gelang nur noch teilweise. Nach ihrer Einschaltung etwa vier Wochen nach der Tat fanden die Ermittlungsbehörden einen klinisch reinen Tatort vor. Zudem standen den Ermittlern keine Blutproben der Kinder zur Verfügung; die den Kindern am 20.12.2019 entnommenen Blutproben waren durch die internen Untersuchungen aufgebraucht.
Die Auswertung des Betäubungsmittelbuchs der fraglichen Klinikstation ergab am 16.01.2020 einen Fehlbestand an Morphin, dessen Zustandekommen nicht geklärt werden konnte. Faktisch hatte jede auf der Station eingesetzte Pflegekraft wie auch die Ärzteschaft Zugriff auf diese Flasche. An ihr konnte auch keine den Beschuldigten zuordenbare DNA festgestellt werden.
Auch hatte eine nicht näher eingrenzbare Menge an Personen tatsächlichen Zugang zur Milchküche, in welcher die Tagesrationen der Patienten an Muttermilch vorbereitet wurden. Der Verbleib der in der Tatnacht noch vorhandenen Nahrungsportionen konnte nicht mehr aufgeklärt werden.
Um den Tathergang trotz schlechter objektiver Beweislage zu klären, wurde eine Vielzahl an Zeugen vernommen und Wohnungen und Arbeitsplätze durchsucht. Welche der Diensthabenden sich in der fraglichen Nacht wo aufgehalten und um welchen Patienten gekümmert hatte, ließ sich im Nachhinein jedoch nicht mehr sicher rekonstruieren. Eine Überprüfung älterer Behandlungsunterlagen und Dienstpläne ergab keine Auffälligkeiten.
Um weitergehende Ermittlungsansätze zu erlangen, wurden bereits in einem frühen Stadium der Ermittlungen zwei ausgewiesene Experten aus dem Bereich sowohl der Neonatologie und der pädiatrischen Intensivmedizin als auch der forensischen Toxikologie, die auch im „Marburger Frühchenfall“ als Gutachter tätig waren, konsultiert, ohne dass dies tatsächlich zur weiteren Klärung des Tathergangs beitragen konnte. Auch die Ergebnisse der Urinuntersuchungen waren insoweit nur beschränkt belastbar, da es sich um Sammelurin eines jeden Kindes handelte, dessen zeitliche Herkunft nur vage feststand und dessen Konzentration zudem nicht bestimmbar war. Auf dieser Tatsachengrundlage war es den Sachverständigen jedoch nicht möglich, fundierte Aussagen dazu zu treffen, wann und wie den betroffenen Kindern welche Menge an Morphin verabreicht wurde.
Damit fehlt aber jede Tatsachengrundlage zur Klärung der Frage, wer das Morphin verabreichte.
Bisherige Berichterstattung zum Fall:
- Bericht vom
Morphin-Fall bei Frühgeborenen in Ulm: Krankenschwester wohl zu Unrecht in Haft : -
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Ulm: Frühgeborene in lebensbedrohlichen Zustand versetzt – Krankenschwester wieder frei -
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Ulm: Im Spint einer jungen Krankenschwester wurde mit Morphin versetzte Muttermilch gefunden -
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Ulm: Krankenschwester unter Verdacht – Frühgeborene in lebensbedrohlichen Zustand versetzt